Dienstag, 23. März 2010

Abwarten und Tee trinken

Alles begann im Oktober 2007. Der texanische Arzt Ron Paul will Präsident werden. Warum? Er will die Vereinigten Staaten auf den Kopf stellen. Eine Revolution, bei der alle großen und kleinen Sünden gegen die Intentionen der Gründerväter korrigiert werden sollen. Eine Revolution für den freien Markt, gegen einen aufgeblasenen Staatsapparat und gegen das amerikanische Selbstverständnis als Weltpolizist.

Diese Revolution fand freilich (noch) nicht statt, aber sie war raffiniert inszeniert. Ron Paul hat das viel strapazierte Nationalpathos „Freiheit“ mit der Anlehnung an Actionfilm „V for Vendetta“ entstaubt; bei den kinofanatischen Amerikanern bekanntlich ein beliebtes Genre. Im Film kämpft ein maskierter Rächer „V“ einsam und allein gegen ein faschistisches Regime (in dem so mancher Verfassungsfundamentalist heute zu leben glaubt). Heroisch.
Aber es kommt noch besser. In Schritt 2 wurden die Gründungsmythen der jungen Republik bemüht. Am 16. Dezember 1773 begann die amerikanische Revolution mit der Boston Tea Party. Als Indianer verkleidete „Patrioten“ lehnten sich gegen das Steuerdiktat der britischen Kolonialherrn auf und versenkten symbolisch eine Schiffsladung Tee im Hafen von Boston. In einer reifen Demokratie im 21. Jahrhundert leert man keine Naturalien mehr in den Ozean sondern schreibt einen Scheck für die Wahlkampagne des Kandidaten „V“.

Aber auch der medial viel beachtete Spendenrekord jenes 16. Dezembers 2007 konnte Ron Paul nicht als ernsthaften Präsidentschaftskandidaten etablieren. Doch spätestens seit der Steuerzahler 2008 die Wallstreet, die Autobauer und andere marode Komapatienten der amerikanischen Wirtschaft künstlich am Leben erhalten darf, ist er aus seiner Lethargie erwacht. Seither ist das Zelebrieren der Tea Partys zum Lieblingssport der Stammtischpolitiker geworden. Landauf landab wird leidenschaftlich über die Verfassung, die Prinzipien des freien Marktes und amerikanische Tugenden philosophiert, Thomas Jefferson rezitiert und Ronald Reagan glorifiziert. Alles, was von diesem Weltbild auch nur marginal abweicht, ist Teil der großen sozialistischen (in den USA ein Schimpfwort) Weltverschwörung an deren Spitze der Marxist Barak Obama steht.
Und der Europäer wundert sich mal wieder. Aus einem kreativen Werbegag ist eine landesweite Bewegung der Unzufriedenen geworden und hat bei den letzten Wahlen in Massachusetts schon die Muskeln spielen lassen. Aber nicht nur der verdutzte Europäer weiß nicht recht, wie er das Ganze einordnen soll. Derweil fehlt dem „angry mob“ noch ein charismatischer Leitwolf und führende Republikaner zögern noch. Einerseits wissen sie nicht, ob die radikal-konservative Protestbewegung nicht zu sehr den Mainstream-Wähler verprellt. Und andererseits kann niemand voraussagen, ob das Feuer der Entrüstung nicht bald wieder erlischt, wenn die USA mit Gesundheitsreform entgegen allen Erwartungen doch nicht zu einem stalinistischen Sklavenstaat mutieren. Das „Freeze-Movement“ der Aufrüstungsgegner in den 80-ern hat Ronald Reagan auch nicht aus dem Sattel geworfen und die Welt ist auch damals nicht untergegangen. Und schließlich, „V for Vendetta“ ist auch nur ein Film.

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